Wer neue Wege finden will, muss ohne Wegweiser auskommen
Der Vortrag des Autisten Dr. Peter Schmidt begeistert fast 200 Zuhörer in der Aula der Ludwig-Reinhard Schule
Auf dem Rednerpult hat alles seine Ordnung. Rechts ein Glas Cola. Daneben schön parallel und senkrecht zum Rand des Pults, das Mikrofon und die Fernbedienung für die Präsentation. Und ganz unten, genau in der Mitte, ein Schokoriegel. Wer aufgrund dieser Anordnung mit einem Vortrag von der Stange gerechnet hat, der genau so abläuft, wie die zehn davor und danach, wurde eines Besseren belehrt.
Mit dem Eintreffen des Referenten Dr. Peter Schmidt, kam am 11. November eine unbändige Energie in die voll besetzte Aula der Ludwig-Reinhard-Schule, die sich erst um Mitternacht verflüchtigte, als die letzten der rund 200 Besucher nach Hause gingen.
Schmidt, der auf Einladung der Lebenshilfe Ostallgäu nach Kaufbeuren gekommen war, nahm sein Publikum mit auf eine Reise durch sein Leben. Er schilderte, wie er als kleiner Junge mit dem Fahrrad allein durch die Umgebung seiner Heimatstadt Peine geradelt ist, ohne dass seine Eltern es wussten, um Straßen zu sammeln; wie er immer wieder Schwierigkeiten hatte, mit dem für ihn eigenartigen Verhalten seiner Umwelt zurecht zu kommen und wie er mit seiner Art die Welt zu sehen auch seine Mitmenschen immer wieder vor große Herausforderungen stellte.
Dass er das Asperger-Syndrom hat, entdeckte Peter Schmidt erst als Erwachsener zufällig beim Fernsehen. Er bezeichnet das Erlebnis als das emotionalste seines Lebens. Nicht einmal die Geburt seiner Tochter könne daran heranreichen. Endlich hatte er eine Erklärung für alles was ihm an sich selbst und der Welt um ihn herum eigenartig vorkam.
Es ist nämlich nicht so, dass Autisten keine Emotionen hätten. Sie erleben diese oft sogar extrem stark. Die Schwierigkeit besteht jedoch darin, dass sie nicht in der Lage sind, emotionale Signale aus ihrer Umwelt zu verstehen. Genauso schwierig ist es allerdings für nicht-autistische Menschen, das emotionale Erleben von Autisten zu verstehen.
Der Blick durch die Augen auf unser Leben, unsere Gesellschaft und eigentümlichen Selbstverständlichkeiten eröffente auch Menschen ohne Behinderung neue Perspektiven
Die Sicherheit die Menschen aus dem Erkennen der emotionalen Botschaften ihrer Umgebung gewinnen, kompensieren Autisten durch Rituale und Strukturen. Werden diese gestört, entsteht, je nach Ausprägung, Wut, Panik oder totaler Rückzug in sich selbst. Es ist klar, dass es deshalb immer wieder zu Konflikten und gegenseitigem Unverständnis kommt. Schmidt hatte das Glück, dass verständnisvolle Lehrer und Eltern seine Begabungen erkannten und sein unerwünschtes Verhalten in großem Maße, als zu ihm gehörig, akzeptierten.
Neben dieser Akzeptanz sieht der promovierte Geophysiker die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen als entscheidenden Faktor dafür, dass Autisten glücklich in unserer Gesellschaft leben können. Rückzugsräume, klare, stabile Regeln und Abläufe sowie die Möglichkeit Aufgaben nach den eigenen Bedürfnissen zu strukturieren, können dazu beitragen, dass die beträchtlichen Potentiale von Autisten ihrer Umgebung zu gute kommen und Konflikte im Umgang vermieden werden.
Drei Stunden faszinierte Schmidt seine Zuhörer mit seinem Vortrag und stand danach noch für die zahlreichen Fragen aus dem Publikum zur Verfügung. Der Blick durch die Augen auf unser Leben, unsere Gesellschaft und eigentümlichen Selbstverständlichkeiten eröffente auch Menschen ohne Behinderung neue Perspektiven. Zum Schluss dankte der Geschäftsführer der Lebenshilfe, Ralf Grath, der Hauptorganisatorin, Rosi Haser-Neumayer, für ihre Initiative und ihr Engagement, ohne die dieser spannende Abend nicht möglich gewesen wäre.
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