Heute wäre er vielleicht einer von uns
Ernst Lossa wurde im August 1944 im Rahmen der systematischen Tötung von Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen während der Zeit des Nationalsozialismus in Irsee ermordet. Das wissen alle, die das Buch „Nebel im August“ von Robert Domes gelesen, oder den gleichnamigen Film gesehen haben. Er könnte, wäre er später geboren, heute Schüler eines Förderzentrums sein, oder eine Tagesstätte der Lebenshilfe besuchen.
Eine spannende Parallele, die Anlass für die Lebenshilfe Ostallgäu und die Ludwig-Reinhard-Schule war, sich mit dem Leben dieses Jungen näher zu beschäftigen.
Bei einem Film- und Diskussionsabend mit Mitarbeitenden und Eltern machte der Autor Robert Domes deutlich, dass die Stigmatisierung von Menschen mit einer Behinderung oder einer psychischen Erkrankung bis ins 21 Jahrhundert angehalten hat. Erst allmählich finde eine Enttabuisierung statt. Ziel seines Schreibens sei es, so Domes, „auch und gerade heute zum Nachdenken über den Umgang mit unseren Mitmenschen, und da besonders den schwächsten unter ihnen, anzuregen“.
Domes und von Cranach gelang es, die Schülerinnen und Schüler vom ersten Moment an zu faszinieren
Wenige Tage später besuchte Domes noch einmal die Ludwig-Reinhard-Schule, diesmal gemeinsam mit dem ehemaligen Direktor des Bezirkskrankenhauses, Michael von Cranach. Wieder erzählte er die Geschichte von Ernst Lossa. Michael von Cranach berichtete ergänzend über die sogenannten Krankenmorde in der Zeit des Nationalsozialismus, insbesondere in Kaufbeuren und Irsee.
Es gelang den beiden vom ersten Moment an, die Jugendlichen mit einfachen Worten zu fesseln. Im Klassenzimmer herrschte für die ganze Zeit des Vortrages gespannte Stille. Umso lebhafter war die Diskussion, die sich danach anschloss. Die Schülerinnen und Schüler waren empört, traurig und wütend, dass so etwas passieren konnte. Auch fiel es den jungen Menschen nicht schwer, das damalige Geschehen mit der heutigen Zeit zu verknüpfen: Oft ging es dabei um Gespräche mit Geflüchteten in ihrem Freundeskreis. Ein Junge aus Afghanistan konnte sogar aus eigener Erfahrung von Krieg, Verfolgung und seiner über vier Jahre währenden Flucht berichten.
Die Lebenshilfe und die Ludwig-Reinhard-Schule wollen das Thema weiter verfolgen. „Auch wenn er schon über 70 Jahre tot ist, berührt das Schicksal von Ernst Lossa auch heute noch junge Menschen ganz unmittelbar und regt dazu an, sich mit der Situation heute aktiv auseinanderzusetzen“, so Ralf Grath, Geschäftsführer der Lebenshilfe.