Sechs Allgäuer Unternehmen ziehen erstmals Gemeinwohl-Bilanz

Feb 28, 2023 | Themen

Bei einem Workshop konnten sich die zukünftigen Bewohner*innen näher kennenlernen. Sie gestalteten ein gemeinsames Bild für die neuen Räumlichkeiten. 

„Praxisprojekt“ an der Hochschule Kempten:
Bewusstsein schärfen, Strukturen schaffen, Maßstäbe setzen

München/Allgäu, 28.02.2023 – Sechs Allgäuer Organisationen und Firmen wurden dieser Tage bei der „Konferenz des guten Wirtschaftens“ in München für ihre erste erfolgreiche Gemeinwohl-Bilanz gewürdigt. Sie alle hatten im Sommersemester 2022 am GWÖ-Praxis-Projekt der Fachhochschule Kempten teilgenommen, um ihre Arbeit künftig noch fokussierter am großen Ziel der Nachhaltigkeit auszurichten: die Firmen Allgäu Batterie (Haldenwang) und ANWANDER (Sulzberg), der Verein Lebenshilfe Ostallgäu-Kaufbeuren mit Wertachtal-Werkstätten, Naturpark Nagelfluhkette (Immenstadt) und renergie Allgäu (Kempten) sowie die Volkshochschule, Sing- & Musikschule und Kunstschule Kempten.

Bis zu 100 Arbeitsstunden hatten die einzelnen Unternehmen zwischen März und Juli 2022 in das Projekt „Gemeinwohlökonomie“ investiert. Viel Zeit, „die sich aber zu hundert Prozent gelohnt hat“, sind sich die GWÖ-Verantwortlichen der sechs Organisationen einig. Denn schon auf dem Weg zur ersten Gemeinwohl-Bilanz schärften sich der Blick und das Bewusstsein für Fragen rund um soziale Gerechtigkeit, schonenden Ressourcenumgang und nachhaltiges Wirtschaften. Der rund 80seitige Abschlussbericht enthält detaillierte Angaben zu den Punkten Lieferanten, Finanzen, Mitarbeitende, Kundschaft und Gesellschaft allgemein und geht dabei vor allem auf ethische, ökologische und soziale Aspekte ein.

Alles Themen, die auch schon vorher einen hohen Stellenwert in den beteiligten Unternehmen hatten. Aber es fehlte oft am ganzheitlichen Überblick und vor allem an messbaren Kriterien für die verschiedenen unternehmerischen Maßnahmen. „Mit der GWÖ können wir jetzt genau erkennen, wo wir unser Engagement noch verstärken müssen“, so Christina Graßl, kaufmännische Leiterin im Sulzberger Familienunternehmen ANWANDER. Bereits ein halbes Jahr nach der ersten Bilanz sei eine „gestiegene Sensibilität bei der Geschäftsführung und in der Verwaltung“ ihres Arbeitgebers spürbar.

„Mit der Bilanz fängt die eigentliche Arbeit erst an“, weiß Jörn Wiedemann. Der zertifizierte GWÖ-Berater begleitet seit vielen Jahren mittelständische Unternehmen bei der Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten. Er leitet auch das Praxisprojekt der Hochschule Kempten, bei dem sich die beteiligten Firmen mit Hilfe Studierender gemeinsam und gegenseitig bewerten und einschätzen.  Je heterogener die Gruppe, desto erhellender oft die Fragen, die im Prozess gestellt würden – „und desto interessanter auch die Erkenntnisse, die die Unternehmen daraus ziehen können“, so Wiedemann.

Ralf Grath, Geschäftsführer der Lebenshilfe Ostallgäu-Kaufbeuren mit Wertachtal-Werkstätten, beispielsweise stellte fest, „wie wichtig der Kontakt und die genau dokumentierten Rückmeldungen zu unseren Lieferantinnen und Lieferanten sind“. Es soll nun eine Projektgruppe gegründet werden, in der Mitarbeitende verschiedener Standorte und aller Hierarchieebenen gemeinsam an den weiteren Gemeinwohl-Zielen arbeiten werden.

Der Firma Allgäu Batterie GmbH & Co. KG in Haldenwang sind ökologische und soziale Themen seit jeher wichtig. Werte wie Menschenwürde, Solidarität, Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit und Transparenz werden im Unternehmen bereits gelebt. Im Rahmen einer Masterarbeit wird derzeit ein ethischer Leitfaden für Lieferbeziehungen erarbeitet. Dieser soll die Werte-Auslebung in die Lieferbeziehungen von Allgäu Batterie tragen. Geschäftsführer Manuel Diepolder betont, „dass wir eine unternehmerische Verantwortung haben, die wir wahrnehmen können und wollen.“

„Wir möchten die Orientierung am Gemeinwohl nicht nur durch unsere Kurse, sondern auch durch unsere eigene Beteiligung an der GWÖ-Bilanzierung im Allgäu voranbringen“, sieht Peter Roth, Leiter der Volkshochschule Kempten, seine Bildungseinrichtung in der Pflicht als Multiplikator. Er ist außerdem bereits dabei, andere Volkshochschulen für das Projekt zu begeistern – zum Beispiel auf einer vom bayerischen Volkshochschulverband organisierten Tagung mit dem Titel „Global.Nachhaltig.Wirtschaften.“

Auf Vernetzung setzt auch der Verein renergie Allgäu, der ganz gezielt den Austausch mit anderen GWÖ-Unternehmen in der Region sucht, um Synergien zu schaffen und die Effizienz zu steigern. „Nachhaltigkeit bezieht sich nicht länger nur auf den Bereich Energie, sondern ist in allen unseren Unternehmensbereichen spürbar“, fasst Monica Lehmkuhl,  Veranstaltungsmanagerin und GWÖ-Ansprechpartnerin bei dem Kemptener Energieberatungsunternehmen, den größten Erkenntnisgewinn aus der ersten GWÖ-Bilanzierung zusammen.

Zwei Jahre bleiben den Unternehmen, um nach der erfolgreichen Bilanz im vergangenem Sommer die selbst gesteckten Ziele und Ergebnisse zu erreichen. Dann wird der nächste GWÖ-Bericht erstellt. Für die SÄBU Holzbau GmbH ist es schon heuer wieder so weit. Das Bauunternehmen aus Biessenhofen hatte sich bereits 2021 an dem Hochschul-Projekt beteiligt und seitdem eine ganze Reihe von Maßnahmen umgesetzt. Es gibt jetzt zum Beispiel Leasingbikes für Mitarbeitende, das Bürogebäude wird gerade energetisch saniert und eine PV-Anlage ist in Planung.

„Die Gemeinwohlbilanz bildet für uns den Anfang eines langfristig angelegten Prozesses“, erklärt Christine Machacek, die geschäftsführende Gesellschafterin von SÄBU – und spricht damit Berater Jörn Wiedemann aus dem Herzen. Er freut sich über die stetig wachsende Zahl an GWÖ-Unternehmen auch und gerade im Allgäu. Denn sie alle hätten erkannt, dass „Nachhaltigkeit kein Gutmenschentum ist, sondern eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit.“

 

 

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