Podiumsdiskussion Selbstbestimmung

Mai 4, 2017 | Veranstaltungen

Selbstbestimmung – na klar! So würden wohl die meisten von uns auf die Frage reagieren, ob Menschen mit Behinderung ihr Leben selbst bestimmen sollten

Für Angehörige von Menschen mit Behinderung ist es oft nicht leicht, die Grenze zwischen Schutz, Fürsorge und Selbstbestimmung richtig auszuloten. Auch Einrichtungen und Angebote, die Menschen mit Behinderung begleiten, stehen vor der Frage, wie die Selbstbestimmung möglichst uneingeschränkt gelebt werden kann, ohne den oder die Betroffene zu gefährden. Etwa weil die Auswirkungen des selbstbestimmten Handelns vielleicht nicht richtig abgeschätzt oder verstanden werden können.

Diesem komplexen Thema widmet sich die Lebenshilfe Ostallgäu verstärkt seit Anfang des Jahres im Rahmen ihres Jahresmottos „selbstverständlich selbstbestimmt“. Alle Lebenshilfeeinrichtungen und die Wertachtal-Werkstätten wollen sich zusammen mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über Vorträge, Seminare und Tagungen zeitgemäß diesem Thema im Sinne des Inklusionsgedankens widmen.

In Zusammenarbeit mit der Ludwig Reinhard Schule waren am 27. April Eltern und Betreuer von Menschen mit Behinderung zu einem offenen Podiumsdialog eingeladen, um die Frage der Grenzen von Selbstbestimmung zu diskutieren. Vor etwa 60 Teilnehmern moderierte der zweite Vorsitzende der Lebenshilfe, Wolfgang Neumayer, das Podiumsgespräch nach dem sogenannten Fish Bowl Prinzip. Dabei wechseln jeweils die Diskutanten in den inneren Stuhlkreis, die zur aktuellen Frage etwas beitragen können.

In seinem Einführungsreferat zeichnete er das Bild eines Rahmens, der sich um uns Menschen herum bildet und die persönlichen Selbstbestimmungsspielräume begrenzt. Der Rahmen wird gebildet von der körperlichen Verfassung, der aktuellen Lebenssituation oder sonstigen Vorgaben und Gesellschaftsnormen. Die Abmessungen des Rahmens ändern sich im Lauf des Lebens permanent. Die Aufgabe von Assistenten und begleitendem Fachpersonal sei es, den Rahmen des Betreuten zu erkennen und ihm innerhalb des Rahmens Selbstverantwortung und Selbstbestimmung umfassend zuzugestehen.

Bei der anschließenden Diskussion waren die Vorstellungen für das Machbare oder Gewünschte durchaus unterschiedlich. So wurde z.B. die Frage diskutiert, ob selbstbestimmte Entscheidungen in Fragen der Ernährung, der Nutzung von Verkehrsmitteln oder beim Freizeitverhalten dann eingeschränkt werden müssen, wenn daraus eine Gefährdung entsteht. Die Antwort ist nicht leicht, wenn man bedenkt, dass im Grunde auch jeder Mensch ohne Behinderung die Freiheit hat, sich für oder gegen das Rauchen oder die falsche Ernährung zu entscheiden, ohne dass seine Selbstbestimmung in Frage gestellt wird. Werner Arth, der als ein Vertreter der Menschen mit Behinderung auf dem Podium saß, erklärte mit eindrücklichen Beispielen wie seine Erblindung an vielen Stellen seinen Selbstbestimmungsrahmen deutlich einschränkt, er aber gleichzeitig erwartet, dass alles innerhalb des Rahmens ausschließlich von ihm entschieden wird. Elternvertreter diskutierten wie schwierige es sei, als Eltern von Kindern mit Behinderung die Fürsorge und Schutzempfindung für das Kind gegen die Selbstbestimmung abzuwägen.

Insgesamt war die zweistündige Veranstaltung ein gelungener Baustein innerhalb des Themenjahres der Lebenshilfe, der viele Erkenntnisse und Impulse für weitere Veranstaltungen und Diskussionen hinterlässt.

Fotos: Ute Bernard (Lebenshilfe)

Weitere Artikel

Aus der Kategorie: